„Meister, wie kann ich es kontrollieren?“
„Was meinst du?“
„Diese Kräfte, sie kommen und gehen. Ich mache mir Sorgen, dass irgendetwas aus dem Ruder läuft. In dem Buch steht: ‚Wenn man sich in alltäglichen Dingen irrt, ist das kein Unglück. Aber wenn du dich in den Zaubereien irrst, kannst du viel Unheil anrichten‘.“
„In welchem Buch, Beffaná?“
„In dem Buch über Kaitus, den Zauberer.“
„Lesen ist eh überschätzt.“
„Aber ich hab auf dem Schulweg eine Katze fast auf den Mond geschossen, weil ich sie vor Sami in Sicherheit bringen wollte.“
„Es ist sehr schön auf dem Mond. Gute Pizza. Und du wiegst nur ein Sechstel.“
„Ich mach mir wirklich Sorgen!“
„Dann lass uns aufhören.“
„Was soll das? Ich weiß, es gibt einen Weg, diese Kräfte zu kontrollieren!“
„Andere würden dich darum beneiden. Warum denkst du als allererstes daran, wie du sie kontrollieren kannst?“
„Ich möchte niemandem weh tun!“
„Aber du tust immer jemandem weh. Es gibt Leute, die wollen, dass Mädchen nichts lernen außer hübsch auszusehen, Kochen und Kinder kriegen. Und wenn du sagst ‚Ist mir doch egal, was die denken! Ich werde trotzdem Nobelpreisträgerin!‘ Oder: ‚Ich will aber Flugzeuge bauen!‘ Oder: ‚Ich werde die beste Hexe der Welt!‘, dann tust den denen weh. Ist das etwa falsch? Du tust deinem Vater weh, wenn du ihn belügst. Ich weiß, du denkst, nicht solange er es nicht erfährt. Aber irgendwann, auch wenn’s erst in ein paar Jahren ist, dann wird er es erfahren und dann tut es ihm weh.“
„Aber sowas meine ich nicht! Ich meine, was wenn ich aus Versehen einen Laster umkippe und er auf jemanden drauffällt?“
„Dann verhinderst du das.“
„Vielleicht gelingt es mir nicht!“
„Warum nicht, wer aus Versehen einen Laster umkippen kann, sollte ihn doch auch stoppen können. Versuch doch erst mal, einen Laster kippeln zu lassen, bevor du dir diese ganzen Sorgen machst.“
„Ich hab schon die Zeit angehalten!“
„Quatsch mit Soße! Du hast ein bisschen was erstarren lassen für ein paar Sekunden. Die Zeit anhalten, das kommt erst viel später dran. Ich kenne da eine Zeitgeistkatze, die wäre ein guter Lehrer. Ist nur leider sonst ein ziemlicher Vollidiot.“
„Aber trotzdem, Krampus…“
„Jetzt stell dir mal vor, Peter Parker wäre einfach immer zuhause geblieben bei Onkel Ben und Tante Mary. Langweilige Geschichte, oder? ‚Spiderman wäscht das Geschirr ab!‘ ‚Spiderman räumt den Keller auf!‘ ‚Spiderman baut sein erstes Modellflugzeug!‘ Oder denk mal, Mozart hätte nicht Klavier geübt, damit die Nachbarn nicht gestört werden. Und jetzt, meine Damen und Herren, Wolfgang Amadeus Mozart, der traurigste Pferdepfleger von ganz Wien!“
„Okay, ich hab’s kapiert. Was schlägst du stattdessen vor?“
„Hausaufgaben, Beffaná, ich geb dir eine ganz einfache Hausaufgabe auf: Nimm dir etwas vor, eine simple Hexerei, und schau, ob’s funktioniert.“

Es ist jetzt vieles leichter für Beffaná. Seitdem Esmeralda Schniggenfittich mit im Boot ist, gibt es kein Problem mehr mit dem Unterricht beim Krampus. Esmeralda hat den ersten und den zweiten Abend mit Bravour gemeistert, denn sowohl am ersten wie auch am zweiten Morgen nach Esmeraldas Einsatz ist Anil, Beffanás Vater, heilfroh, seine Tochter einigermaßen erträglich gelaunt am Frühstückstisch vorzufinden.
„Du hattest gestern wieder eine Laune wie drei Tage Regenwetter!“ beklagt er sich und Beffaná fragt sich, wie es wohl anders sein sollte, wenn eine Wetterhexe einen aufmüpfigen Teenager spielt. Es ist sogar ganz nützlich, dass Esmeraldas Beffaná-Version eher zu den grummeligen Töchtern gehört, denn wer wenig sagt, kann sich nicht so schnell verplappern.

Auch die Stunden beim Krampus ändern sich. Beffaná erinnert sich. Nicht an alles, aber inzwischen erinnert sie sich am nächsten Tag an einzelne Gesprächsfetzen und Übungen, die sie zusammen mit ihm durchgeht. Es ist, als müsse sich ihr Gehirn erst daran gewöhnen, das Unmögliche zu akzeptieren und nicht in eine dunkle Ecke ihres Gedächtnisses einzusperren. Jetzt also Hausaufgaben. Oder besser Schulaufgaben. Eigentlich würde Beffaná ihre Fähigkeiten lieber zuerst in aller Stille ausprobieren, aber dann ergibt es sich, dass Joshua im Matheunterricht in Bedrängnis gerät und Beffaná, ohne groß darüber nachzudenken, mit drinhängt.

Eigentlich finden die meisten in der Klasse Mathe ganz okay, weil sie einen guten Lehrer haben, der auch schwierige Dinge gut und interessant erklären kann. Nur ist Herr Oberwittler schon seit einem Monat krank und darum wird seit kurzem eine Vertretung geschickt. Die Vertretung ist eine dusselige Kuh, wie Jessie es auf den Punkt gebracht hat, bevor sie selbst krank wurde. Frau Ferch ist launisch, permanent zu spät und zudem noch selbst ziemlich schlecht in Mathe. Das wissen alle, das weiß sie auch selbst, aber statt das Beste draus zu machen, spielt sie sich auf wie ein Oberst im Kasernenhof und verteilt andauernd Rüffel, Klassenbucheinträge und Strafaufgaben, wenn ihr jemand dumm kommt oder sie einfach nur schlecht geschlafen hat. Es heißt, sie stecke mitten in einem Scheidungskrieg und weil ihr Mann ebenfalls Lehrer an Beffanás Schule ist und eine absolute Oberpfeife, tut Frau Ferch Beffaná eigentlich sogar ein bisschen leid. Heute aber nicht. Heute ist Frau Ferch 10 Minuten zu spät und beschwert sich weitere 5 Minuten über den in ihren Worten „völlig unfähigen Hausmeister“. Dabei lässt sich der Hausmeister einfach nur nicht von ihr herumscheuchen, so wie die meisten anderen, und das ärgert Frau Ferch. Nach ihrer Tirade über den Hausmeister kontrolliert sie die Hausaufgaben. Einzeln. Bei allen in der Klasse. Das dauert noch mal zehn Minuten, aber Frau Ferch scheint das wichtiger zu sein, als richtiger Matheunterricht. Als sie bei den Jungs in der letzten Reihe ankommt, sieht Beffaná, dass Joshua genervt an die Decke glotzt und seinem Sitznachbarn etwas zuraunt. Beffaná muss gar nicht hören, was er sagt, um zu kapieren, was los ist. Sein Blick sagt in der internationalen Gebärdensprache der Hausaufgabenvergesser*innen „Kacke, jetzt hat sie mich.“

Vielleicht, denkt Beffaná, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, meine Hexenhausaufgaben zu erledigen. In Sachen „Joshua rasend verliebt in mich machen“ ist sie bisher auch beim Krampus noch kein Stück weiter gekommen, aber das hier könnte die Chance für einen billigen Punkt werden. Am besten wäre es natürlich, Joshua seine Hausaufgaben fertig zu hexen. Doch sie hat keine Ahnung, wie man sowas anstellen soll. Außerdem: Wie sollte er merken, dass sie ihn gerettet hat? Die Zeit drängt, Frau Ferch kommt gerade zu seinem Tisch.
‚Ich muss Zeit gewinnen!‘ denkt Beffaná und macht das Einzige, was sie inzwischen ganz gut hinbekommt.
„STOPP!“
Die ganze Klasse inklusive Frau Ferch erstarrt.
‚Also‘, denkt Beffaná, ‚wie kann ich ihm helfen, ohne dass die Klasse merkt, dass ich dieses neue, etwas ungewöhnliche Hobby habe, aber so, dass Joshua genau kapiert, dass ich es war, die ihm geholfen hat? Denn machen wir uns nichts vor, Jungs sind in diesen Sachen manchmal so blind, denen könntest du ICH LIEBE DICH auf ihren Teller schreiben und die fragen nur: Wer hat mein Essen geklaut?
Eine weitere Idee wäre natürlich, an Joshuas Platz zu gehen, ihm meine Hausaufgaben hinzulegen und wenn Frau Ferch kontrolliert, ist alles da. Es gibt nur zwei Probleme, denkt Beffaná. Erstens hab die Hausaufgaben selbst nicht, denn, wann soll ich die denn auch noch schaffen, und zweitens… merkt Beffaná, wie ihr langsam die Kraft ausgeht. Es muss jetzt schnell gehen. Verdammt. Verdammt. Verdammt! Wenigstens Schadensbegrenzung!
Beffaná schnappt sich das Heft von Lisa, der Ziege aus der vorletzten Reihe, und legt es auf Joshuas Tisch. Keine zwei Sekunden später erwacht die Klasse und Beffaná wirft sich schweißüberströmt auf ihren Platz. Frau Ferch geht zu Joshua, kontrolliert, nickt, geht weiter und Joshua glotzt ziemlich dämlich auf das Heft auf seinem Tisch. Dann überprüft er die Vorderseite und schaut – okay, wie dumm kann man eigentlich sein, Beffaná, ich dusselige Kuh! – und schaut dankbar lächelnd zu Lisa. Beffaná haut wütend mit der Faust auf ihren Tisch.
„Beffaná! Was ist denn los?“
Frau Ferch kommt auf sie zu.
„Hausaufgaben vergessen?“
„Ich…“ beginnt Beffaná, aber Frau Ferch unterbricht sie.
„Schnickschnack, das können wir ja viel besser überprüfen, wenn du uns einfach mal an der Tafel vorrechnest.“
„Was, jetzt?“
„Ich bestehe darauf.“

Nun wäre es wirklich gut, wenn Beffaná sich in ein Mathegenie verzaubern könnte. Aber sie kann es nicht. Und sie ist sich nicht mal sicher, ob sie die Klasse noch mal so lange erstarren lassen könnte, bis sie ihre Sachen gepackt hat und rausgerannt ist. Also schlurft sie nach vorne an die Tafel und fängt an. Frau Ferch sieht ihr belustigt zu, macht ein paarmal „Tse, Tse, tse“ und sagt dann:
„Lass dich nicht stören, Beffaná, ich bin mal gespannt, wo das noch hinführt?“
Beffaná hat eben schon geschwitzt, jetzt wird ihr heiß und kalt. Vor allem, als sie von vorne sieht, wie hinten Joshua mit Lisa tuschelt. Nach einer Minute stellt sich Frau Ferch neben sie und wischt mit dem Schwamm Beffanás bisherige Rechnungen beiseite.
„Ich glaube, du fängst besser noch mal an“, sagt sie. „Und der Rest der Klasse löst die Aufgaben 8c bis g im Buch. Bitte Beffaná, lass dich nicht stören!“
Dann setzt sie sich auf ihren Platz und schreibt im Klassenbuch herum.
„Zur Hölle mit…“, denkt Beffaná und will gerade erneut zu schreiben anfangen, als sie eine Idee hat.
„Könnte man vielleicht…?“, denkt sie. Sie verdeckt einen kleinen Teil der Tafel und konzentriert sich. Rechnen geht nicht. Aber malen schon. Das ist gut, denkt sie, das ist sehr gut. Beffaná linst zur Seite zum Pult von Frau Ferch, die immer noch im Klassenbuch schreibt, und konzentriert sich.
‚Zur Hölle, zur Hölle, zur Hölle…‘
Im Klassenbuch erscheint ein kleiner, roter Kreis. Frau Ferch scheint ihn erst gar nicht zu bemerken. Doch der Kreis wird größer, wird zu einem roten Rad, einem Feuerrad, einem lodernden Loch in der Erde, größer und größer wird der Feuerkreis im Klassenbuch und längst ist Frau Ferch erstarrt vor er Erscheinung vor ihr. Der Rest der Klasse schreibt und flüstert weiter, niemand scheint zu bemerken, was ihre Lehrerin gerade vor sich im Klassenbuch sieht. Das Höllenloch ist schon so groß wie ein Kinderkopf und da greift eine schwarze Kralle aus dem Loch nach der Nase von Frau Ferch. Die Lehrerin kreischt, springt panisch auf und rennt schreiend aus der Klasse.
‚Potzblitz!‘ denkt Beffaná, ‚Wieder was gelernt‘
Die Kralle macht ein Victory-Zeichen und verschwindet samt dem Feuerrad ohne eine Spur im Klassenbuch.

Beffaná (St. 5, Kap. 8): Hausaufgaben
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