Es reitet in der Abendsonne
Eine Krähe, hoch im Wind
Genießt der letzten Strahlen Wonne
Die im Winter selten sind
Die Krähe reitet nicht alleine
Endlich sind sie wieder zwei
Sie schaut sich um, blickt in ein feines
Fächeln. Und strahlt selbst dabei
Der Boden unter ihnen zittert
Jeder Schritt ein Beben, denn
Das Reittier hat ein Ziel gewittert
Schneller geht’s jetzt, bis es rennt.
Nicht weit entfernt ertönt ein schriller
Hilfeschrei: „Das ist Godzilla!“

„Krah!“ ruft Günter, „Welche Panik?
Welch ein Wirbel überall
Dabei machen wir doch gar nichts!
Gut, okay, Zusammenpralln
Mit dem Kraftwerk war nicht clever
Nur: Es stand auch wirklich breit
In der Gegend. Worst place ever!
Grad als suchte es den Streit!
Also: Brücken, Krähne, Laster
Aus dem Weg, ihr Sprücheklopfer
Springt zur Seite. Ha! Nur Spaß, da
Kriegen wir euch auch , ihr Opfer!

Hört mich, Leute!“ ruft die Krähe
„Es wird allerhöchste Zeit
Dass die Weihnachtshexe wieder
Selbst in das Gescheh’n eingreift

Als Erstes macht Beffaná ein kleines Schläfchen. Zwei Stunden lang liegt sie in ihrem Gästezimmer bei Niklas und pennt. Und als sie endlich aufwacht, öffnet sie ein kleines Proviantdöschen, das sie sich vor ihrem Ausflug mit Godzilla sorgfältig vorbereitet hatte. Es riecht nach gekochtem Ei und Frikadellen.
„Es sind vegetarische Frikadellen“, sagt die zu Günter, der ihr missbilligend beim Essen zuschaut.
„Es geht um die Eier“, sagt Günter.
Beffaná schluckt.
„`Tschuldigung.“
Der erste Ausflug mit Godzilla hat riesigen Spaß gemacht. Aber er hat die Hexe auch sehr erschöpft. Außerdem ist schnell klar geworden, dass diese Art des Reisens eine ziemlich große Aufmerksamkeit mit sich bringt.
„Ihr seid in den Nachrichten an erster Stelle!“ berichtet Lilith, die Rübe. Es ist allgemein beschlossen worden, Lilith nicht zu schreddern oder zu kochen. Allerdings ist sie trotz aller großspuriger Ankündigungen eine absolut miese Scrabbelspielerin und liegt daher nutz- und beschäftigungslos auf ein Couchkissen gebettet neben dem Fernseher.
„Wo ist Godzilla jetzt?“ fragt die Rübe.
„Niklas hat ihn oben im Wald auf dem Hügel versteckt“ sagt Günter. „Wenn er sich flach auf den Boden legt, sieht man ihn nicht.“
„Ist der Hügel damit einverstanden?“ fragt Lilith.
Man muss wissen, dass der Hügel in der Nähe von Niklas’ Haus Castorp heißt und ziemlich ungemütlich werden kann, wenn man ihn ärgert. Ansonsten ist er aber ein grundguter Zeitgenosse, leider mit einem unguten Hang, sich schnell zu erkälten.
„Castorp sagt, für den Übergang ist es okay“, meint Günter. „Aber in spätestens fünfzig Jahren sollen wir eine dauerhafte Lösung finden.“
„Klar“.
Auch wenn Castorps – für Hügel typisch-langfristige – Zeitplanung sie in nächster Zeit nicht vor Probleme bei der Unterbringung des Urzeitmonsters stellt, wissen sie alle nur zu gut, dass das mit Godzilla nicht lange gut gehen kann.
„Wir müssen ihn unsichtbar machen“, sagt Günter. „Das muss doch möglich sein, Beffaná“.
Die Hexe ist gerade aus dem Bad zurück gekommen.
„Ifff kanf nichf“ sagt Beffaná. „Afff, entfuldigung“.
Sie dreht noch einmal um und geht ins Bad.“
„Hä?“ fragt Lilith.
„Ihr Gebiss“, sagt Günter. „Sie hat vergessen es wieder reinzutun.“
Als sie zurückkommt schüttelt sie den Kopf.
„Es geht nicht. Ich krieg das mit dem Unsichtbarmachen nicht mehr hin, hab’s schon versucht.“
„Gibt’s keine anderen Hexen, die dir helfen können?“ fragt Lilith
„Weiß nicht. Ich kenne von den jungen Leuten kaum jemand. Und selbst wenns jemand hinkriegt, hält’s immer nur für kurz, das hilft uns kaum weiter.“
„Egal“. Günter flattert einmal kurz von seiner Sessellehne auf und setzt sich auf Beffanás Schulter. „Wir haben unsere Weihnachtshexe heile zurück, das ist viel wichtiger. Wenns nötig ist, reiten wir Godzilla eben nur nachts. Und jetzt lass uns überlegen, wem du etwas zu Weihnachten schenken könntest.“
„Hm.“ Beffaná schlurft zu dem Haufen der aus ihrer Wohnung geretteten Papiere.
„Von meiner Liste ist nur das Ende übrig geblieben. Der Rest muss verbrannt sein. Oder im Löschwasser zerstört.“
Sie versucht ihre eigene Schrift auf den beiden verbliebenen Zetteln zu entziffern.
„Alles vor dem Buchstaben N ist futsch.“
„Sortierst du nach Name oder nach Art“, fragt Günter.
„So, wie ichs mir am besten merken kann. Du stehst unter G wie Günter. Standest. Aber Polly steht unter Z, wie Zyklop. Er ist ja auch Zeus’ Sohn.“
„Poseidons Sohn, Beffaná!“
„Hm. Stimmt. Ich werde wohl wirklich alt.“
„Vielleicht wär’s schlauer, deine Listen in der Cloud zu speichern. Nur so als Tipp“, sagt Günter.
„Hätte, hätte, Trolltoilette. Ich mag die Cloud nicht“, sagt Beffaná.
Als Günter sie mitleidig anguckt funkelt sie böse.
„Ich weiß, was die Cloud ist! Ich mg sie nur einfach nicht. Als ich sie das letzte Mal besucht habe, hat sie mir nicht mal Tee angeboten. Nur so einen fancy De-Caf-Semi-Fat-Cinemon-Latte-Scjwurbel aus einem Automaten, der war größer als meine Wohnung. Und bezahlen sollte ich ihn auch noch selbst… Gut, dass der Zettel mit IHREM Namen verbrannt ist…“
„C wie Cloud?“
„A wie Arschloch!“

Eine Zeitlang studiert Beffaná ihre Liste und nachdem Günter ihr Niklas’ Lesebrille von unten geholt hat, gehts auch ein bisschen schneller.
„Hier, das ist gut“, sagt Beffaná. „O. Wie Ohrwurm.“
„Come on, Würmer hatten wir schon genug dieses Jahr“, ruft Günter und sofort meint er zwei böse Blicke von Alwine und Gustav zu ernten, die in der Ecke neben dem Fernseher seit zwei Stunden den Christstollen in eine Spinatquiche umbauen. Auch die Holzwürmer, die es sich inzwischen im Fernsehschränkchen gemütlich gemacht haben, protestieren mit einem laut vernehmbaren Klopfen.
„Sorry, Leute, aber ist doch wahr.“
„Nee. Nee! Ohrwurm ist gut!“ ruft Beffaná. „Glaub mir! Ohrwürmer sind in Sachen Geschenke äußert pflegeleicht und es sind immer Win-Win-Geschenke. Weil du Ohrwürmern im Prinzip nichts anderes schenken kannst, als dass sie benutzt werden.“
„Benutzt?“
„Na ja., also, Leuten ins Ohr gesetzt werden.“
„Okay“, sagt Günter. „Und wo findet man die?“
„Das ist ein Problem“, meint Beffaná. „Die leben meistens echt weit weg. Und die, die in der Nähe sind, kennen nur dumme Lieder. Eine, die heißt Helene. Total nett, aber wehe, sie fängt an zu singen.“
„Okay“, sagt Günter. „Dann eben weiter weg! Oder wir finden einen auf der Durchreise. Los geht’s!“
„Ja, nein“. Beffaná setzt sich in einen Sessel. „Es ist gleich elf, Günter. Heute wird das nix mehr. Ich muss längt im Bett sein, Freundchen. Morgen, morgen gehts los. Direkt nach dem Mittagsschlaf, in der Abenddämmerung.“

Bevor Günter an diesem Abend noch mal aus dem Haus verschwindet, horcht er an Beffanás Zimmertür. Schluchzt da jemand?
„Ist doch klar, Günter.“ Niklas steht hinter ihm. „Sie hat ganz schön was durchgemacht. Nur weil sie wieder einigermaßen auf den Beinen ist, heißt das noch lange nicht, dass alles okay ist.“
Günter nickt. Er wünscht Niklas eine gute Nacht und fliegt raus zum Wald auf dem Hügel. Kurz überlegt er, ob er in die Höhle knapp unter dem Gipfel fliegen soll. Dort kann man am besten mit Castrop sprechen, denn die Höhle ist ein Teil seines linken Ohres. Aber er entscheidet sich um und fliegt direkt auf die große Lichtung.
„Hey, wie geht’s dir? Isses zu kalt?“
„Schon okay. Wie geht’s ihr?“
„Besser“, sagt Günter. „Auch dank dir, schätze ich.“
„Das freut mich.“
„Oh Mist, was hast du da an der Schulter?“ Günter fliegt näher ran. „Blutet es stark?“
„Nein. Das wird schon. Ist von dem Zusammenstoß mit dem Kraftwerk.“
„Beffaná hatte großen Spaß“, sagt Günter. „Du hast wirklich was in ihr wachgerüttelt.“
„Uns beiden ist doch wohl klar, wer hier was bewegt hat, Günter.“
Die Krähe fliegt ein Stück abseits ins Gebüsch.
„Meinetwegen kannst Du die Sachen erst mal ausziehen-. Beffaná schläft. Und hier heraus kommt sie eh nicht. Ziemlich sicher.“
„Warum warst du dir so sicher, dass Godzilla bei Beffaná funktioniert?“
„Er war ihr eins ihrer ersten Monster. Und er erinnert sie an damals, als sie jung war und alles noch neu und unbekannt. Eigentlich ein ziemlich simpler Trick.“
„Man könnte es auch ‚eine Lüge‘ nennen…“
„Wer heilt hat Recht, Polly.“
„Aber jung macht sie diese Lüge trotzdem nicht, Und die, die sie verloren hat, kommen dadurch auch nicht wieder. Was, wenn sie’s rausfindet?“
„Eine Sorge nach der anderen, Polly. Wir sehen uns morgen Nachmittag um vier bei Niklas vorm Haus. Und vergiss das Kostüm nicht.“
„Schlaf gut, Günter.“
„Schlaf gut, Polly. Und, Potzblitz, sei bitte pünktlich.“