Beffaná erwacht von den typischen Morgengeräuschen ihres Vaters in der Küche und sie hört, wie er sich mit Jacob unterhält. Beffaná schaut auf die Uhr, es ist schon kurz vor sieben. Noch immer halb schlafend tastet sie neben ihrem Bett herum, bis sie das Fell des kleinen Hundes berührt. „Kein Traum“, denkt sie. Und obwohl der Abend gestern, die Diskussion mit ihrem Vater vor allem, ziemlich heftig gewesen war, ist sie doch froh, dass es jetzt einen Sami in ihrem Leben gibt.
„Aufstehen!“ flüstert sie. „Wir müssen raus!“.
Sami hat sich noch nicht einmal richtig geschüttelt, da hat Beffaná ihn schon auf den Arm genommen und schleicht auf Zehenspitzen mit ihm zur Haustür. Zweimal stoppt sie, um sicherzugehen, dass Jacob und ihr Vater in der Küche nichts bemerken.
„Ich hol dich gleich hier ab“, flüstert sie. „Versteck dich inzwischen… hm, es darf dich niemand sehen…“
„Bei der Haustür, in der Ecke hinter den Briefkästen“, schlägt Sami vor.
„Perfekt!“ sagt Beffaná und wundert sich, wie gut der Hund sich auskennt. Hat er sie auch zuhause observiert? Offensichtlich.
„Bis gleich, flüstert sie, schließt die Wohnungstür hinter sich und geht in die Küche.
„Guten Morgen. Papa, warum hast du mich nicht geweckt?“
„Ich dachte, ich lass Dich schlafen. Es war so spät heute Nacht. Ich schreib Dir eine Entschuldigung für die ersten beiden Stunden.“
Jeden anderen Tag gerne, denkt Beffaná, aber heute nicht.
„Das geht nicht, Papa, wir schreiben eine Arbeit.“
„Sei doch froh, dann musst du nicht mitschreiben.“
„Nein, Papa, ich muss pünktlich sein, wirklich.“
Jacob rollt mit den Augen. „Papa! Dummkopf! Sie will zu Joshua!“
Doch diesmal bekommt er von seiner Schwester und seinem Vater nur einen bösen Blick und zieht maulend ins Bad ab.
„Um ehrlich zu sein“, sagt Beffaná, „muss ich heute sogar früher los. Will noch was fragen vorher. Wegen der Arbeit.“
„Okay, wie du meinst“. Beffaná ist erleichtert und wundert sich, wie leicht sich eine Lüge anfühlen kann. ‚Um ehrlich zu sein‘?! Wenn der wüsste.
„Nimm wenigstens noch einen Schluck Tee“ sagt ihr Vater, doch sie winkt ab.
„Keinen Durst. Aber ich nehm‘ mir einen Müsliriegel für die Busfahrt. Bis heute Nachmittag!“
„Pünktlich!“ sagt ihr Vater. „Verspricht es.“
„Pünktlich.“ sagt Beffaná.

Der Schulweg dauert lang, denn Beffaná nimmt nicht den Bus, sondern geht zu Fuß. So kann sie neben Sami laufen. Der kaut misstrauisch auf seiner Hälfte des Müsliriegels herum.
„Schmeckt komisch“, mault er.
„Lass mich raten“, sagt Beffaná. „Zu wenig Katzenaroma?“
„Nein, zu süß.“
Der Schulweg macht zusammen mit Sami viel mehr Spaß, als alleine im Bus zu sitzen. Beffaná versucht mit ihm zusammen Stadt-Land-Fluss ohne Aufschreiben zu spielen, aber Geografie ist absolut nicht Samis Stärke. Beffaná gewinnt jedes Mal haushoch.

Später in der Schule ist es dafür umso furchtbarer. Alle starren sie an, zumindest hat Beffaná das Gefühl. Welche Eltern hat ihr Vater gestern alles angerufen? Tuscheln sie? Jessie, ihre einzige richtige Freundin in der Klasse, fehlt heute. Und Joshua? Beachtet sie nicht. Guckt sie nicht einmal an in den ersten beiden Stunden. In der Pause wird es Beffaná zu blöd und sie geht zu ihm hin.
„Entschuldige, dass mein Vater gestern bei euch angerufen hat“, sagt sie.
„Hat er?“ fragt Joshua. Ist es ihm wirklich egal, oder tut er nur so?
„Weil er mich gesucht hat!“ sagt Beffaná.
„Okay. Und was hat das mit mir zu tun?“
„Haben’s deine Eltern gar nicht erzählt?“ fragt sie, aber er zuckt nur mit den Schultern. „Kann sein. Eltern, oder?“
Das wars. Beffaná überlegt noch, was sie antworten soll, als Joshua sich schon halb abwendet und in seinem Rucksack wühlt. Sie steht noch einige Sekunden vor ihm, dann wird es Beffaná zu blöd und sie stampft zu ihrem Platz. Doch vorher, schon während sie sich umdreht, schnappt sie sich den Bleistift, auf dem Joshua während des Unterrichts immer herumkaut, und steckt ihn schnell in ihre Tasche.

Der Schultag zieht sich ewig hin und Beffaná ist froh, als sie von Sami am Schultor begrüßt wird. Auf dem Rückweg besprechen sie, wie des weitergehen soll.
„Ich kann heute Abend nicht zum Krampus“, sagt Beffaná. „Du hättest meinen Vater heute Nacht erleben sollen. Wenn sowas noch mal passiert, dann… ich weiß nicht. Wird’s schlimm.“
„Aber du musst“, sagt Sami. Er bleibt mitten auf dem Bürgersteig stehen und schaut sie an. Ernst? Traurig? Herausfordernd? Im Lesen von Samis Hundemimik ist Beffaná noch nicht besonders gut.
„Du hast es versprochen, Beffaná!“
„Nichts hab ich versprochen!“ ruft sie. „Er hat gesagt ‚Seid pünktlich!‘. Ich hab weder ja noch nein gesagt.“
„Doch“, sagt Sami. „Und ob! Nach dem Abendessen!“
„Abendessen? Aber wir waren doch nur kurz…“ Beffaná stutzt. Nein, waren sie nicht. Sie war erst nach Mitternacht zuhause. Sie erinnert sich jetzt, wie sie den Fahrer des Nachtbusses überredet hat, Sami mitnehmen zu dürfen, obwohl sie kein Geld mehr für eine Fahrkarte für ihn hatte.
„Aber, was haben wir denn die ganze Zeit gemacht?“
Sami schüttelt sich. „Das weiß ich nicht, nicht mein Revier. Ich war in der Küche.“
Beffaná stapft eine Weile schweigend vor sich hin, dann fällt ihr etwas ein.
„Sami, du wolltest gar nicht mit mir mitkommen, oder? Ich weiß noch, dass Du gejault hast, als der Krampus sagte, Du sollst mit mir mitgehen.“
„Ich weiß nicht“, sagt Sami. „Daran erinnere ich mich nicht.“
„Doch, doch! Er hat dir einen Hundekuchen gegeben und danach warst du plötzlich total happy, mit mir mitzugehen.“
Sami schüttelt sich kurz, läuft aber weiter ungerührt neben Beffaná her.
„Ich bin auch total happy“ sagt er. Dann bleibt er doch stehen.
„Weißt du Beffaná, der Krampus ist ein komischer Kerl. Und irgendwas in seinem Haus ist mega-seltsam, das stimmt. Aber er ist okay. Und du hast ihm gestern fest versprochen, wiederzukommen. Du hast sogar was unterschrieben, glaub ich.
„Ich habe WAS?!“
„Beffaná, du wolltest doch, dass dieser Junge auf dem Foto dich mag!“ bellt Sami. „Der Krampus sorgt dafür, glaub mir! Er bringt dir die richtigen Tricks bei! Und im Gegenzug machst du ein paar Besorgungen für Ihn in der Stadt. Genau wie ich. Das ist alles. Er ist schon häufig betrogen worden. Er will nur sichergehen, dass sich die Menschen an ihr Versprechen halten.“
Beffaná ist unruhig. Auf keinen Fall darf es passieren, dass ihr Vater sich noch einmal solche Sorgen um sie macht. Wie soll sie abends noch mal rausgehen? Und warum eigentlich? Dann hat sie’s halt versprochen, soll er doch versuchen, sie zu zwingen! Und ja, irgendwie ist sie schon neugierig, was genau der Krampus für Tricks kennt, damit andere Menschen anfangen, einen zu mögen. Aber es geht eben nicht.

Doch – es ist ganz einfach. Kurz nachdem Beffaná zuhause ist und Sami in einem unbeobachteten Moment in ihr Zimmer geschmuggelt hat, klingelt es und Jacob wird zu einer Übernachtungsparty abgeholt.
„An einem Donnerstagabend?“ wundert sie sich, aber ihr Vater zuckt mit den Schultern. „Wird von der Schule organisiert. Du weißt schon: Adventsnacht oder sowas. Das steht doch schon ewig fest. Jacob redet schließlich seit Tagen von nichts anderem, denk doch mal nach!“
Beffaná versucht es, aber sie erinnert sich absolut nicht. Und dann, nach dem Abendbrot, wird es noch seltsamer. Ihr Vater zieht seinen Mantel an und kommt in ihr Zimmer. Gerade noch schafft es Beffaná, Sami unter ihrem Bett zu verstecken, als ihr Vater in der Zimmertür steht.
„Beffaná, ich gehe noch mal raus. Es wird spät werden heute Abend. Geh bitte rechtzeitig ins Bett, okay? Und versprichst du mir, dass du heute mal nicht abhaust?“
Dabei zwinkert er ihr zu. Er hat ihr noch nie zugezwinkert!
„Wohin gehst du denn?“ fragt sie. Beffaná ist vollkommen verwirrt.
„Dürfen Erwachsene denn keine Geheimnisse haben?“ fragt ihr Vater, zwinkert ihr noch einmal zu und geht in Richtung Wohnungstür, als es bereits klingelt.
Beffaná lugt in den Eingangsflur, um zu sehen, mit wem sein Vater wohl verabredet ist. Doch sie traut ihren Augen kaum und kann nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken! In der Tür steht eine riesengroße Bulldogge, die regungslos wartet, bis ihr Vater sich seine Jacke angezogen und den Schlüssel eingesteckt hat. Ihr Vater dreht sich noch einmal um, winkt Beffaná zum Abschied und sie hört noch ein „Gut siehst du heute Abend aus…“ bevor die Wohnungstür sich hinter ihnen schließt.

Beffaná rennt in ihr Zimmer, um Sami alles zu erzählen, doch der steht schon schwanzwedelnd vor ihrem Bett.
„Wollen wir los? Wir sollten nicht zu spät zum Krampus kommen.“
Ab dem Zeitpunkt, wo Beffaná und Sami das Haus verlassen haben, verschwimmt alles um sie herum. Beffaná nimmt schemenhaft den Bus wahr, und wie sie bis zum Waldrand fahren. Sie laufen kurz – oder auch lang? – über dunkle Waldwege und kommen endlich bei dem grauen Haus in der Senke unter den Buchen an. Der Krampus begrüßt sie fast geschäftsmäßig, sperrt den handzahmen Sami in der Küche ein und führt Beffaná… Tja, sie weiß es nicht. Da sind nur Dunkelheit und Flüstern und die bohrenden Augen des Krampus. Zwischendurch eine kurze Pause in der Küche, in der sie vor sich hinstarrt und den kleinen Spitz hinter den Ohren krault. Irgendwann, Ewigkeiten später, ein Abschied, wieder Wald, Nachtbus und die Treppe hoch schleichen bis in den achten Stock. Kurz glaubt Beffaná ein Atmen hinter Frau Schniggenfittichs Tür zu hören, aber sie ist sich nicht sicher und irgendwie ist es ihr auf seltsame Weise vollkommen gleichgültig. Erst als sie mit Sami in ihren Zimmer steht, die Tür hinter sich geschlossen hat und der Hund erwartungsvoll vor der Vase mit den Weidenzweigen hin- und herhopst, kommt Beffaná wieder ganz zu sich.
„Beffaná“, sagt Sami, „Du darfst die vierte Blüte öffnen. Es ist halb eins!“
„Potzblitz…“ murmelt Beffaná. „Potzblitz, Potzlitz, Potzblitz…“

Beffaná (St. 5, Kap. 4): Das Versprechen
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