Freitag, 22. Dezember: Denninghoffs Test

Auf krahenstein.de, der Website des Internats Stiftung Krahenstein gGmbH, ist das Lehrer*innenprofil von Frau Cordula Denninghoff eins der wenigen, die vorbildlich und absolut vollständig ausgefüllt sind.

Cordula Friederieke Denninghoff, steht da, ist 34 Jahre alt, ledig, und hat eine Hündin namens Emmy. Während der Schulstunden bleibt Emmy in Denninghoffs Zimmer und spielt mit einem Zauberwürfel für Hunde.

Cordula Denninghoff hat Lehramt für Gymnasien in Oldenburg und Newcastle studiert und auf Krahenstein unterrichtet sie Mathematik und Physik. In ihrer Freizeit spielt Cordula Denninghoff gerne Tennis.

Frau Denninghoff ist eingeweiht in die speziellen Gegebenheiten in der Schwarzen Klasse. Natürlich könnte man die Frage stellen, wofür ein Werwolf die p/q-Formel braucht oder ob eine Ghula durch Kenntnisse in der Vektorrechnung besser durchs Leben kommt, Cordula Denninghoff sind solche Fragen jedoch fremd. Zumindest hat sie das der Klasse immer wieder klargemacht.

Was sinnvoll ist und was nicht, bestimmt allein der Lehrplan. Und ob Binomische Formeln oder der Satz des Thales das Leben eines Vampirs bereichern, interessiert sie nachmittags auf dem Tennisplatz offenbar wenig. Wenn Hunde wie Emmy Zauberwürfel lösen können, sagt sie, kann man von Mitgliedern der Family erwarten, den Dreisatz zu kapieren. Egal, wie dringend sie ihn für ihr weiteres Dasein benötigen.

Frau Denninghoff hat keine Freunde in der Schwarzen Klasse, selbst Annika, die ihrem gut strukturierten Unterricht problemlos folgen kann, ist nicht begeistert: 

„Die Frau ist eine gut geölte, völlig belanglose Maschine. Sie könnte die Herstellung von Gold unterrichten oder die fünf Stufen zur Erleuchtung: Es würde immer exakt gleich klingen.“

Eigentlich könnte es den Mitgliedern der Schwarzen Klasse herzlich egal sein, ob sie Mathe nun kapieren oder nicht. Aber so ganz stimmt das leider nicht. Im Schulleitbild von Krahenstein ist unmissverständlich festgelegt: 

„Wer den Anforderungen des normalen Schulbetriebs in einem der Kernfächer regelmäßig nicht genügt, muss die Schule verlassen. Das gilt auch für die Inklusionsklasse.“

Keine Ausnahmen für Yetis, Poltergeister oder Vogelscheuchen.

Und da sitzen sie nun um Sina herum: Becca, Hannes, Ovid und die anderen, und alle haben sie keine Ahnung. Sina hat es noch am Besten von allen: Sie ist so spät in die Klasse gewechselt, dass ihre Leistungen erst ab dem nächsten Halbjahr gewertet werden. Am schlimmsten, das sagt zumindest die Gefühlslage, die Sina empfängt, sieht es bei Mitgliedern der Fünfer-Bande aus: Ana, Ola, Rico und Chris sind völlig blank! Ola beginnt nach fünf Minuten sogar laut zu lachen und Sina beginnt sich zu fragen, ob draußen ein Vollmond am Himmel steht.

Frau Denninghoff ficht das nicht an. Sie hat die Anwesenheit kontrolliert, Bens Fehlen mit versteinerter Miene zur Kenntnis genommen und den Abwesenheitsgrund von Betül und Charlie bei Roswitha erfragt. Dann hat sie die Schüler*innen an Einzeltischen platziert und die Aufgabenblätter verteilt. Natürlich zwei verschiedene, Gruppe A und Gruppe B, damit Nachbarn nicht voneinander abschreiben. 

„Ruhe bitte!“, ermahnt sie die Klasse und beginnt mit der Lektüre im großen Tennis-Jahresrückblick der Sport Bild.

„Schnelldenkerin!“ 

So, so, Sinas Lieblingspoltergeist Odette meldet sich via Gedankenfunk.

„Was willst du? Wenn’s um die Arbeit geht: Ich versteh noch nicht mal die Aufgabe…“

„Das hatte ich auch nicht erwartet…“

‚Ja, spotte nur‘, denkt Sina. ‚Ich spüre genau, dass es dir nicht besser geht.‘

„Focus, Schnelldenkerin! Rico braucht ein paar Tipps. Hau mal Annika wegen Aufgabe 2 an. Sie ist doch auch Gruppe B, oder?“

„Nein, Annika ist Gruppe A. Ich bin Gruppe B. Ich hab bei Aufgabe 2 ein Haus vom Nikolaus und einen Sorry-Smiley gemalt.“

„Zeig Annika die Aufgabe! Rico ist total lost und Ana auch.“

„Odette, Annika sitzt 3 Meter entfernt! Kannst du ihre Gedanken nicht selbst – irgendwie – lesen?“

„Ich muss nicht einfach ‚was lesen‘, du Nuss! Ich muss ihr Fragen stellen! Aber sie ist ja kein Mitglied in unseren kleinen Telepatenclub…“

„Hey Mädels, was geht?“

„Roswitha!“ Sina hat Roswitha noch nie im Gedankenfunk gehört.

„Ja, hier, Folgendes.: Meine Buddies sind alle desperate. Kann man denen irgendwie helfen? Rico sagt, er fliegt dieses Jahr save, wenn er wieder Mathe verkackt. Ey, das ist mega-ungechilled, und das so kurz vor Weihnachten.“

„Dann gib ihnen die Lösungen Roswitha! Du hast doch nur Einsen in Mathe!“

„Ja, nee. Is voll gegen mein doom.“

„Aber ANDERE zum Schummeln anstiften nicht, oder wie?“

„Is so `ne Grauzone, schätz ich.“

„Roswitha, wir sind blank. Die Lösung heißt Annika und Annika sitzt zu weit weg.“

„Ey, Sina, und mit deiner Emo-Antenne, geht da auch nix?“

„Wenns dich interessiert: Annika geht’s super. Aber davon wissen wir immer noch nix über Aufgabe 2.“

„Eigentlich bräuchte Rico auch Aufgabe 1, 3, 4 und 7.“

„5 und 6 hat er?“

„Die sind rassistisch, sagt er. Weil Eisbären drin verkommen, die in stereotyp-abwertender Weise dargestellt werden“

„Odette, kannst du zur Ablenkung nich’n bisschen Unruhe stiften?“

„Denninghoff hat mir vor der Stunde gesagt: ‚Noch ein Blizzard im Klassenzimmer und ich rassel durch den Kurs wie ’ne Klapperschlange.“

„Also was ist jetzt, Mädels? Hat keine `ne Idee, meiner  Gang aus der Patsche zu helfen? Wir brauchen mal ´n paar gute Nachrichten, so kurz vor Weihnachten.“

„Is ganz einfach, Roswitha! Du bist doch längst fertig mit allem, oder? Zauber ihnen allen die richtigen Antworten auf die Zettel oder sie sind erledigt. So wie der Rest von uns.“

„Ach, Katzenpisse, ey. Und ich dachte, dies Jahr flutsch ich elegant hier durch….“

Roswitha ist aus dem Gedankenfunk raus, dafür stehen sie direkt neben Sina:

„Also los.“

Die ganze Klasse wirkt zunächst leicht apathisch, dann schauen sich alle irritiert an und dann rüber zu Frau Denninghoff. Die hat ihre Sportbild gegen Inside Tennis, den großen Turniervergleich getauscht und wirkt sehr… eingefroren. 

„Wer war DAS jetzt wieder?“, stöhnt Annika.

Sina deutet mit dem Kopf auf Roswitha, die ein bisschen auf ihrer Zunge rumkauen. 

„Hat mal jemand ’n After Eight? Oder `n Leberwurstbrot? Interessant. Zeit anhalten geht total auf das Geschmacksempfinden.“

Irgendwie ist niemand so richtig von den Socken, dass Roswitha die Zeit anhalten kann. ‚Ist aber schon `n bisschen random‘, denkt Sina, ‚dass es ausgerechnet jetzt geschieht, wegen einer Lappalie wie einer Mathearbeit.‘

„Eins sag ich euch gleich“, knurrt Roswitha. „Die Lösung für die Arbeiten sag ich euch nicht. Ich hab bisher nur auf Pause gedrückt. Nix Schlimmes passiert bisher. Wenn ich jetzt auch noch mit Bescheissen anfange, dann bin ich noch 1000 Jahre hier an der Schule.“

„Was ist denn dein Plan?“, fragt Annika. „Bei aller Liebe, glaubt bloß nicht, dass ihr einfach alle bei mir Abschreiben könnt. Das find’ ich auch irgendwie kacke.“

„Ich hab gedacht“, sagt Roswitha, „Du bringst den Flachköppen den ganzen Bumms einfach kurz bei. Dann bestehen sie die Arbeit, haben sogar noch was gelernt und ich komme nicht total in Teufels Küche.“

„Oh, ey, nee!“, ruft Rico, „Was is’n das für’n unentspannter Vorschlag, Roswitha? Das klingt irgendwie total wenig unanstrengend! Da hätten wir auch gleich im Unterricht aufpassen können!“

„Eure Entscheidung. Wenn ihr nicht wollt, dann setzt euch wieder hin, ich drücke auf „Play“ und alle gucken, wie sie klarkommen. Oder ihr lernt den Kram eben kurz mal von Annika. Wie lange brauchst du, um den Flietzpiepen ’n bisschen was beizubringen?“

Annika ist ganz still geworden. Sina kann nicht richtig ergründen, was in ihrer Freundin vorgeht. Sie ist in einem irgendwie neuen Zustand. Positiv neu.

„Ich brauche ’ne halbe Stunde“, sagt Annika ruhig. „Wie auch immer ich das messen kann, solange die Zeit angehalten ist. Aber halbe Stunde sollte reichen.“

„Auch bei Rico?“

„Speziell bei Rico. Sonst hätte ich gesagt 20 Minuten.“

„Für den Stoff eines ganzen Halbjahres?“

„Ist ja nur Mathe, Roswitha. Krieg ich hin. Wetten?“

Und weil 30 Minuten sich selbst für Rico einigermaßen fair anhören, fangen sie an.

„Was wolltest du mit mir besprechen, Roswitha“, fragt Sina, als die beiden die Treppe des Altbaus raufschlendern. Sie schlängeln sich zwischen eingefrorenen Aliens durch und Roswitha knabbert an einigen der Snacks in ihren manikürten Alien-Händchen.

„Schmeckt alles komisch heute…“, murmelt Roswitha. „Sina, ich dachte, weil du eh nicht bewertet wirst, hast du vielleicht `n bisschen Zeit zum Quatschen.“

„Ja. Sicher. Was passiert unten gerade mit Anni? Das ist ja wirklich erstaunlich!“

„Weißte selber, oder nicht?“

„Hat es mit ihrer Sache zu tun? Aber was für eine Sache macht einen zu einer so mega-talentierten Super-Mathelehrerin?“

Das ist die absolute Wahrheit. Sina hat es ein paar Minuten lang beobachten können. Selbst die Wangen von Ola und Rico glühten, als Annika ihnen Polynomdivision zur Identifikation von Nullstellen in der Ableitung erklärt hat.

„Schätzchen, du denkst zu kompliziert“, sagt Roswitha. Inzwischen sind sie am Büro der Direktorin angekommen. 

„Das hat nix mit ihrer Sache zu tun, das IST ihre Sache.“

„ANNIKAS DOOM, äh, dings, Sache, ist, dass sie eine MATHELEHRERIN wird?!“

„Wie viele gute Mathelehrer*innen hast du in deinem Leben getroffen?“

„Keine. Gut in Mathe: ja, gut in Lehrer*in: Nie.“

„Siehste. Ziemlich selten, sowas.“

„Aber wieso macht sie ein Geheimnis draus?! Das ist doch MEGA. Sie war total verzweifelt, weil sie’s nicht sagen wollte?!“

„Wie wär das in deiner alten Klasse so gewesen, wenn jemand sagt: Ich will ‚Mathelehrerin‘ werden?“

„Wär so mittel angekommen,  würde ich sagen.“

Aber sie denkt: ‚Bullshit. Du sagst sowas und bist total unten durch.‘

„Und jetzt stell dir vor, du sitzt bei uns im Keller zwischen einer Zombie und einem Poltergeist und die fragen dich, was so dein spezielles Ding ist… 

Roswitha hat recht. Okay. Okay! Annika, Madame Pathos ist eine verdammte Mathelehrerin! Das ist echt praktisch, sowas kann man gut gebrauchen!

„Was machen wir hier oben, Roswitha? Frau Meinecke beim Nasepopeln zugucken?“

„Nee, wir gehen zu Döpfner.“

„Ist die nicht im Burnout. Das hat Nieder… Niklas doch gesagt.“

Niederniklas wusste da aber noch nicht, wie der Tag weitergeht. Als du mit Sebastian aus dem Dunkelraum zurückgekommen bist, gab’s ein paar neue Entwicklungen. Von Polizei ist erstmal keine Rede mehr. Aber die von Stöckendorfs sind sofort aufgeschlagen und jetzt gerade sind sie bei Döpfner im Zimmer. Das wollt ich dir zeigen. Guck, Frau Meinecke popelt nicht, auch wenn sie alleine ist. Das ist nämlich `ne ganz feine Frau. Nach Dir, Sina.“

In Döpfners Zimmer sind Sebastian, seine Eltern und Dorothea Döpfner versammelt, und die Direktorin sieht wirklich nach Burnout aus.

‚Meine Güte‘, denkt Sina, ‚und das alles für so eine Grützbude wie Krahenstein.‘

„Ich schlag dir was vor“, sagt Roswitha, „die ganze Schose dauert zwei Stunden. Haben wir beide keine Lust drauf, richtig? Ich führ dich einfach kurz durchs Gespräch, dann müssen wir die Zeit nicht dauernd stopp-and-go-mäßig und so… Das gibt wieder den metallischen Geschmack auf der Zunge, bäh. Also, pass auf: 

(FÜR DIE VORLESERIN: ROSWITHA SPIELT DIE FOLGENDE SZENE IN VERTEILTEN ROLLEN. DER DIALOG IST DAHER IMMER IM ROSWITHA-STYLE GESPROCHEN, AUCH DIE SPRECHER-NAMEN WERDEN MITGELESEN. ALLES EHER SCHNELL UND ROTZIG, SO ALS WÜRDE MAN JEMANDEN ZITIEREN, DEN MAN NICHT SONDERLICH MAG)

Sebastian: Ich war da ganz alleine im Dunkeln, Buhuuuuu, buhuuu, ich armer Puschel.

Und Helmut Stöckendorf so: Das ist der Beweis, Schrei, Schrei, die Schwarze Klasse muss geschlossen werden, und überhaupt: ich bin ja so wichtig!

Und dann Döpfner: Aber ohne die schwarze Klasse wäre Sebastian immer noch im Dunkeln.

Sebastian: Buhuuuu, buhuuuuu.

Stöckendorf wieder: Hör auf rumzuheulen. Und überhaupt: Ich bin ja so wichtig!

Dann Sebastian noch mal… Rate mal, Sina?“

„Buhuuuu, buhuuuuu?“

„Sehr gut. Genau so. Und dann Döpfner: Was kannst du uns über die Entführung sagen, Sebastian?

 Sebastian nur: Buhuuu, buhuuuu.

Stöckie Senior kriegt jetzt voll die Krise: Du Flasche, du Lusche, du kannst ja gar nichts ab, und sowas will mein Sohn sein?!

Und Sebastian wieder: Buhuu, Buhuuu.

Döpfner: Sebastian, bitte. Kannst du uns was erzählen? Es ist wichtig, laberabaaba, Ansehen der Schule, blabla. Ach ja, vergessen, was ist überhaupt mit Charlie?

Helmut: Erstens: Ich bin ja so wichtig! Zweitens: Was soll mit diesem Charlie sein?! Der Freak ist eben wahnsinnig! Voll die Missgeburt! Einfach alle einsperren und Schlüssel wegschmeißen! Und mein Weichei-Sohn kommt auf eine Militärakademie in der Schweiz, Ende-Gelände!

Und Sebastian? Was denkst du Sina?“

„Buhuuu, buhuuuu?“

„Nee, eben nicht. Der ist inzwischen so angekotzt, dass er seinem Vater richtig vor den Koffer kackt:

Sebastian: Oh Vater! Ich kann nicht mehr! Ich hab immer die Drecksarbeit für dich gemacht und die schwarze Klasse ausspioniert! Und auf einmal werde ich von meinem Kontaktmann an die Wand geklebt! Buhuuu-buhuuuu! Ich sollte doch Läuse verteilen, das war abgesprochen! Und kurz darauf werd ich sogar von ihm entführt? Das ist doch voll unchillig! Buhuuuubuhuuu, Zusammenbruch, Meinecke, Tee, Hinsetzen, Beleidigt-sein…

Achso, ja, und den Erpesserbrief hat er auch noch selbst geschrieben. Hast du mal seine Hände gesehen? Voll die Kleine-Mädchen-Hände! Kann man sich richtig gut vorstellen, wie er mit seinen Kleine-Mädchen-Händen so ganz etepetete ein Erpresserbrief schreibt“

„Ach, was…? Hammer!“ Sina ist völlig platt. „Also steckt von Stöckendorf selbst hinter  all dem? Aber bei den Anschlägen muss Charlie ihm geholfen haben! Auf dem Sportfeld! Mit Haldesleben im Kunstraum! 

Charlie ist doch der Kontaktmann, von dem Sebastian gesprochen hat, oder? 

Warum macht Charlie sowas? 

Warum arbeitet er für die Aliens und entführt dann ihren Sohn? 

Das macht doch überhaupt keinen Sinn!“

„Nee“, sagt Roswitha. „Ich erzählt dir nur, was hier abläuft. Nicht, dass es logisch ist.“

„Und wo Charlie ist, weiß auch niemand?“

Roswitha zuckt mit den Schultern. 

„Niemand von denen.“

„Aber du weißt es!“

„Es ist Bestandteil meines dooms nicht darüber zu sprechen, was mein doom ist.“

 Als Sina und Annika später nach dem Ende ihres letzten Schultags hoch in ihr Zimmer kommen, finden sie Betül wie so oft in den letzten Tagen tief konzentriert in ihre Arbeit versunken. Fast ist ihre große Freundin nicht mehr zu finden, denn neben Kess’ Rollwagen schwebt nur noch Betüls Kopf durch die Luft. Als sie sie ansprechen, ist Sina verwundert, wie leise Betül geworden ist.

„Hallo ihr beiden. Ich bin fast fertig.“

An Kess fehlen nur noch Teile des Kopfes

„Warum bist du denn so leise, Betül?“

„Hast du schon von ausgewachsenen Klopfmenschen gehört, die reden können, Sina?“

„Ich hab bis vor ein paar Wochen noch nie von Klopfmenschen gehört, Betül.“

„Bald weiß du, wie wir sind. Wir sind stumm. Aber echt okay.“

„Wann ist es denn soweit?“

„Bald. Ich weiß es nicht. Ich muss jetzt ein paar Stunden schlafen.“

„Tust du mir einen Gefallen, Betül?“

„Jeden, Sina, jeden.“

„Ziehst du etwas ganz Verrücktes an? Dass wir dich noch einmal in voller Pracht sehen?“

„Selbst, wenn es eine pinke Leggins ist?“

„Besonders dann! Es gibt etwas zu feiern.“

„Das hab ich mir schon gedacht. Ihr seht nicht so aus, als wolltet ihr Annikas Sachen einpacken. Wird sie nicht von der Schule geworfen?“

„Nee“, sagt Sina und knufft ihre andere Freundin in die Seite. „Madame Athos hat heute den Tag gerettet und bleibt. Döpfner hat versprochen, den Stifter zu überreden. Und wir alle haben dazu beigetragen, dass ein paar von den Geheimnissen der letzten Wochen etwas weniger geheim sind. Das wollen wir im Gemeinschaftsraum ein bisschen feiern.“

„Viertelstündchen.“ Betül ist kaum mehr zu verstehen. „Dann muss ich schlafen. Was passt gut zu pink? Grün oder gelb?“

„Nimm einfach beides, Betül, nimm einfach beides…“

„Und du, Anni, du hast heute so richtig gerockt?“

Doch Annika bleibt stumm. So stark muss sie sich zusammenreißen, nicht zu weinen, während sie Betül ihre Sachen reicht.

Als Sina viele Jahre später auf krahenstein.de, die Lehrer*innenprofile durchgeht, findet sie einen Eintrag, der besonders kurz ist. 

„Annika Athos“, steht da. „Mathelehrerin. Hobbys: Brauche ich nicht.“