Auf seinem Platz in Niklas’ Haus
Sitzt Günther und er ruht sich aus
Nur leichten Krähenschlummer gönnt
Der alte Vogel sich, er kennt
Zu viel Gefahr, hat viel gesehn,
Als dass er richtig schlafen gehn
Wie alle and’ren könnte… Nein!
Zu dieser Zeit? Niemals! Allein:
So viel ist schon am Tag passiert
Ein Hauseinsturz! Und Günter wird
Nicht müde an das Stückchen Wand
Zu denken, das am Unterstand
Von Niklas einer Heimstatt harrt
Wo immer das auch seien mag

„Krah…, Autsch!“ Die Krähe wird von unten
An der Stange festgebunden
„Lass mich los!“ schreit er „Gefahr!“
Und blitzschnell kommt da Helena,
Die kleine Ziege, in den Raum
Und springt auf… was? Man sieht es kaum
Zu dunkel ist es. „Niklas, schnell!“
Schreit Günter .Und dann wird es hell
Und gerade noch erkennt er kurz
Ein…Ding? Es brummt, als es im Sturz
Vom Fenstersimms vor ihnen flieht
Und schneller weg ist, als er’s sieht

„Krah, hört mich an!“ ruft Günter, da
Erscheint im Zimmer Beffaná
Und zeitgleich brummt es draußen wieder
„I’ll be back, ich komme wieder!“

In der Yeti-Schule gehörte Reinhold immer zu den Klügsten seines Jahrgangs. Bei Yetis ist es wie bei allen anderen auch: Es gibt schlauere und nicht so schlaue Exemplare. Wenn man nun Yetis mit Menschen vergleicht – und da sollte man immer höllisch aufpassen, weil Inter-Spezies-Vergleiche immer problematisch sind und das Risiko bergen, jemanden nur wegen seiner oder ihrer Spezies zu diskriminieren – na jedenfalls: Wenn man Yetis mit Menschen vergleicht, dann muss man schon in aller Sachlichkeit feststellen, dass die schlausten Yetis immer noch Schwierigkeiten haben, intellektuell mit einem hundsnormalen Durchschnittsmenschen mitzuhalten. Was nicht heißt, dass Yetis nicht andere, ganz außergewöhnliche Fähigkeiten haben: Yetis sind zum Beispiel unglaublich warm und kuschelig. Und wer jemals einen Yeti auf dem Sofa sitzen hatte, wird sich niemals wieder mit einer Wolldecke zudecken wollen. Das hatte auch Geraldine bei ihrem ersten Date mit Reinhold gemerkt. Reinhold konnte sich unter den Himmelsrichtungen zwar nur die zwei wichtigsten merken, aber in Sachen Kuscheln und Warmhalten machte ihm niemand etwas vor. Yetis sind auch sehr reinlich. Andauernd lecken sie sich ihr Fell und slles andere mit ihrer beeindruckend breiten Zunge sauber, Eine Katze ist ein regelrechtes Dreckschwein dagegen… Naja. Aber natürlich gilt auch hier: Es gibt nicht nur den einen Yeti und die eine Katze. Es gibt Yetis, die sind spindeldürr, klein, und haben Haarausfall. Im Prinzip sehen sie aus wie Blindschleichen, aber solange sie sagen, dass sie Yetis sind: Willst du es ihnen absprechen? Nein, willst du nicht. Solltest du auch nicht, denn Yetis haben in der Regel überhaupt kein Problem damit, Menschen aufzufressen, wenn sie ihnen dumm kommen…
Aber es ging ja eigentlich um Reinhold, der für einen Yeti sehr schlau und für alle Menschen um ihn herum unglaublich arm und kuschelig ist. Und darum verliebte sich Geraldine, die Tochter von Knurps, dem Pläneschmied, in Reinhold und sie heirateten und wurden glücklich bis an ihr Lebensende.
Fast.
Denn Geraldine war immerhin die Tochter ihres Vaters. Nur noch ein bisschen zielstrebiger in allem was sie tat. Und eines Tages gründete Geraldine zusammen mit ihrem Mann Reinhold ein Startup, um Tiere, Wesen und Monster, also im Prinzip alle nicht-menschlichen intelligenten Wesen mithilfe eines besonders raffinierten Computeralgorithmusses miteinander zu verkuppeln. Oder in kurz: Sie programmierte eine Monster-Dating-App. Aber eine, die den perfekten Partner, die perfekte Partnerin ganz von allein findet. Einfach die eigenen Daten eingeben – Größe, Spezies, Lieblingsfilm, Lieblingsgeruch – und auf das Ergebnis warten. Die Sache lief super, es gab nur ein Problem: Die App funktionierte nicht. Die interne Partnersuche war derart schlecht programmiert, dass einem schüchternen Rentier aus Nordwest-Finnland ernsthaft der Weihnachtsmann als Partner vorgeschlagen wurde. Und dabei wissen wir alle: Den Weihnachtsmann gibt’s gar nicht. So schlecht war die App! Da erinnerte sich Geraldine, dass ihr Vater vor langer Zeit bereits einen wunderbar funktionierenden Suchalgorithmus für (im Prinzip) Alles programmiert hatte. Nämlich die Software in der Suchmaschine, die die Weihnachtshexe Beffaná eines Tages dem alten Heinzelmännchen Schussel schenkte. Jetzt gab es wieder ein Problem. Die Suchmaschine rostete seit einiger Zeit auf einem Schrottplatz vor sich hin, weil sich die Reparatur zuletzt nicht mehr gelohnt hatte. Nächstes Problem: Geraldine musste zum Zahnarzt und beauftragte ihren Kuschelpartner Reinhold damit, die Suchmaschine vom Schrottplatz zu holen und sie irgendwie notdürftig wieder zum Laufen zu bringen. Sobald sie vom Zahnarzt zurückkäme, würde sie die Suchmaschine mit dem Computer verkabeln und den Algorithmus herunterladen. Aber als wären der Probleme nicht schon genug, gab es noch ein weiteres, allerdings ein eigentlich ganz schönes: Geraldine musste zwar zum Zahnarzt, sie hatte aber auch Geburtstag. Und Reinhold hatte noch kein Geschenk, weil er seine Internetbestellung mit dem Geschenk an die falsche Adresse hatte schicken lassen. Einfach nur „Reinhold“ ins Adressfeld zu schreiben, reicht nämlich nicht. Und als Kreditkartennummer reicht „Reinhold“ auch nicht. Reinhold hatte jedenfalls kein Geschenk und beschloss daher, als er mit der rostigen alten Suchmaschine vom Schrottplatz zurück nach Hause kam, das Ding einfach selbst an den Computer anzuschließen. Als Geschenk. Bravo Reinhold. Hättest du mal einfach nur mit ihr gekuschelt…

Günter ist immer noch ganz außer sich.
„Es war nicht groß!“ sagt er. „Ich hab es erst bemerkt, als es versucht hat, mich im Dunkeln auf meiner Sitzstange festzubinden. Ich hab irgendwas wie eine Hand gespürt. Und es hat gebrummt und gescheppert!“
„Und es hat Öl verloren!“ ergänzt Niklas, der gerade wieder von draußen reinkommt. „Helena scheint ihm ein Kabel durchgebissen zu haben.
„Also ist irgendwas Mechnanisches im Spiel“, sagt Lilith, die Rübe. „Wenns aussah wie ein Spielzeugtrecker, hätt ich so eine Ahnung… Manchmal, wenn Panzerfahrer Paula nachts Galaktika heißt, spielt sie Ninja. Einmal hat sie dabei den Toaster ertränkt.“
„Die Überwachungskamera!“ ruft Niklas. „Ich hab eine, die nachts den Garten hinten filmt.“
„Erzähl das bloß nicht Hans-Gerd, dem Sturmgespenst! Der hasst die Dinger!“
„Hans-Gerd!“ schnaubt Niklas. „Das letzte Mal, als hier Sturm war und mein Fenster aufstand, da hab ich extra auf ihn gewartet. Drei Stunden lang! Und als er dann endlich kam, musste ich ihm erst mal eine Wärmflasche machen.“
„Was ist jetzt mit der Kamera?“
Niklas geht hoch ins Arbeitszimmer und überprüft die Aufnahmen.
„Da!“ Er kommt mit dem Notebook in der Hand zu Ihnen herunter.
Die Infrarotkameras zeigt ein kleines Dingsbums, das über den Rasen rollt und dann…“
„Igitt, es bespringt den Rasenmäherroboter“, sagt Lilith.
„Und dann fahren sie davon, in Richtung Carport.“
„Na los“, sagt Beffaná. „Wir haben doch das Stück Wand mit Bettie drin dort angelehnt. Vielleicht hat sie was gesehen!“
„Ja“, sagt Bettie. „Das war unheimlich. Der kleine Würfel ist immer wieder auf dem Rasenmäherroboter rumgekorchen und hat dann das da hinten in der Ecke mit ihm gemacht.
In der recht hinteren Ecke des Unterstandes liegt der Rasenmäherroboter. Besser gesagt: Das, was davon übrig ist. Und viel ist es nicht. Es sieht aus, als habe jemand oder etwas wahllos Sachen aus dem Gerät herausgerissen.
„Es hat auch was dabei gesungen“, sagt Bettie. „Klang wie Ti amo…“
„Ti amo – ich liebe dich“, murmelt Beffaná.

Als eine völlig aufgelöste Geraldine mit Reinhold im Schlepptau bei Niklas auftaucht, wird die Sache klarer.
„DAS war die Suchmaschine?“ fragt Günter.
„Reinhold hat es geschafft, sie so mit dem Computer zu verkabeln, dass die Daten in die falsche Richtung übertragen wurden“, schnaubt Geraldine. „Er hat nicht Schussels Suchalgorithmus in den Computer heruntergeladen, sondern die Suchfunktion der Monster-Dating in die alte Schrottkiste.“
„Wie hast du sie überhaupt wieder zum Laufen bekommen?“ fragt Beffaná. „Wir waren uns doch einig, dass sie nicht mehr zu reparieren ist.“
„Na ja“, murmelt Reinhold. „Geraldine-Schätzchen hatte schließlich Geburtstag… Und weil ich ihr eine Freude machen wollte, hab ich ganz doll überlegt, wie ich die Maschine wieder zum Laufen bringen könnte und als ich mir was zum Essen holen gegangen bin, da hab ich unterwegs zufällig ein militärisches Versuchslabor getroffen, wo an Radionuklidbatterien mit Silizium-Germanium-Thermoelementen geforscht wird und da hab ich mir gedacht, das könnte doch was sein, um die Suchmaschine wieder zum Laufen zu bringen…“
„Du hast dem Militär einen geheimen Atomantrieb geklaut?!“
„So geheim war der gar nicht!“ sagt Reinhold. „Es standen ungefähr hundert Schilder rum, auf denen was mit Atom draufstand.“
„Ist das alles, was du mitgenommen hast?“
„Im Prinzip schon.“
„Im Prinzip?“
„Und ein paar USB-Sticks. Weil Du Deine immer verlierst, Geraldine.“
„Und wo sind die jetzt?“
„Im Computer eingesteckt. Ich wollte die ja leer machen.“
„Und das ws auf den USB-Sticks drauf war, hat die Suchmaschine das vielleicht auch mit runtergeladen?“
„Bestimmt. Als die erst mal auf Touren war, hat die alles Mögliche gemacht. Ich hab dann ja irgendwann Mittagsschläfchen gehalten. Bis du vom Arzt wiedergekommen bist. Und da war sie weg.“
„Reinhold, Schätzchen“, sagt Geraldine, „Ich verspreche dir auch, dass ich ganz bestimmt nicht böse werde, aber du musst mir jetzt sagen: Als Du in diesem Labor warst, hast du da irgendwas Schlimmes mit den Wachen gemacht?“
„Da waren keine Wachen, die sind alle weggelaufen.“
„Gut, also du hast keine…“
„Die sind alle weggelaufen, nachdem ich den Mann mit den vielen Glitzernden Dingern an der Jacke aufgegessen habe.“
„Reinhold, aber warum…?!“
„Ich hab doch gesagt, ich bin rausgegangen, um mir was zu essen zu holen!“
„Oh, Mann! Renhold! Aber doch keinen General! Generäle sind nicht zum Essen! Verstanden?“
„Du behandelst mich wieder wie einen Dummie!“
„Ja, entschuldige Reinhold, aber…“
„Du hast mir versprochen, dass du nicht böse wirst!“
„Entschuldigt, wenn ich störe“ sagt Günter. „Aber interessanter wäre die Frage, wo die Suchmaschine jetzt ist?“
„Naja.“ Geraldine überlegt. „Wahrscheinlich dahin, wo viele Tiere, Wesen oder Monster sind. Zum Zoo Zum Beispiel.“
„Aber der ist unsichtbar“, sagt Günter. „Und die größte sonstige Ansammlung solcher Wesen und Tiere sind wir selbst.“
„Und hier war er schon“, sagt Beffaná. „Was ist denn sonst noch an Wesen in der Nähe?“
„Pol… Godzilla!“ ruft Günter. „Oben , auf dem Hügel!“
„Ach Quatsch, Günter!“, ruft Niklas. „Der Hügel. Castorp! Castorp ist das größte Monster weit und breit!“
„Potzblitz!“ sagt Beffaná. „Dann hoffe ich nur, dass die Suchmaschine den Zugang zur Höhle nicht findet. Die führt direkt in Castorps Innenohr…“
Weiter kommt kommt sie nicht, weil in diesem Moment ein Erdbeben das ganze Grundstück erschüttert.
„Sie ist eine Suchmaschine, Beffaná“, sagt Günter. „Ich glaube, sie hat ihn gerade gefunden.