In einem dunklen Irish Pub

Das nicht sehr viele Gäste hat

Sitzt dicht am Zapfhahn, in der Nähe

Seines Bier’s `ne alte Krähe

Nippt ein Schlückchen und schaut hektisch

Rüber an den großen Ecktisch

Dort, im Schatten einer toten

Pflanze schleicht auf leisen Pfoten

Eine Maus zum Käseteller

Schnuppert, doch die Kräh’ ist schneller

Flattert rüber, greift den Nager

Und schleppt ihn ins Kohlelager

„Suche…“ ruft die Krähe, „Lang

Schon den Mäusewiderstand!“

„Krah!“ ruft Günter (denn selbstredend

Ist es Günter, der hier wegen

Eines Treffens mit der Maus

Harrt schon viele Stunden aus)

„Ihr müsst helfen! Es ist eilig!

Castorp (Kennst du?) Ist beteiligt

An dem größten Durcheinander

Welches je dies ganze Land sah

 Ihr müsst unsrem lieben Hügel

Der grad alles niederbügelt

Was im Weg steht, schnelle Heilung

Schaffen mit der Mausabteilung

„Hör mich an, Maus! Innen drinnen

Ist der Hügel nicht bei Sinnen

Da sitzt irgendwo ein Zombie

Der ihn steuert. Was `ne Kombi…“

Der Typ an der Tür heißt Fritzenkötter und so sieht er auch aus. Das ist gemein, denn für seinen Nachnamen kann schließlich niemand etwas und was soll das überhaupt heißen: „Er sieht so aus, wie er heißt?“ Wie sieht man denn aus, wenn man Fritzenkötter heißt? Fest steht jedenfalls, dass Herbert Fritzenkötter nicht so aussieht wie ein Christian Baron von Stahl oder ein Peer Lindgren. Herbert Fritzenkötter sieht eher so aus wie eine Swantje Poggenpohl, nur in älter und in männlich. Er arbeitet für die Brandermittlung der Kriminalpolizei und hat einen Stapel voller Fragen mitgebracht für eine… (er blättert in seinen Unterlagen) Beffaná Leah Grimm. Er habe gehört, sagt er, Frau Grimm halte sich inzwischen dauerhaft in diesen Räumlichkeiten auf, auch wenn das Einwohnermeldeamt nicht über einen Wohnsitzwechsel der Frau Grimm informiert sei. Er blättert erneut in seinen Unterlagen ergänzt, das Einwohnermeldeamt sei auch über den vormaligen ständigen Wohnsitz der Frau Grimm nie informiert gewesen, aber Angaben der Nachbarn sowie die Inspektion der Wohnung beim ersten Brandgutachten legten den Schluss nahe, dass Frau Grimm in der alten Wohnung bereits viele Jahre lang aufenthältig gewesen sei. Herr Fritzenkötter sagt tatsächlich „aufenthältig“, als sei das ein normales Wort. Es sind übrigens, das nur am Rande, häufig dieselben Leute, die ohne mit der Wimper zu zucken Worte wie „aufenthältig“ oder auch „Beibringungsgrundsatz“ verwenden, die sich andererseits öffentlich über Wendungen wie „Chill mal Bruder“ oder „cringe“ aufregen. Niemals übrigens würde ihnen die Ironie hinter einer solchen Beobachtung auffallen, tatsächlich ist es so, dass sie das Wort Ironie fast ausschließlich aus der Schule kennen. Und wenn Sie sie selbst einmal gebrauchen, dann nur gegenüber Menschen, über die sie Macht besitzen…

Herr Fritzenkötter jedenfalls möchte dringend die Zeugin Grimm zum vormals benannten Sachverhalt befragen und bittet Niklas um Zugang zu Frau Grimms Räumlichkeiten.

„Frau Grimm macht ihren Mittagsschlaf“, sagt Niklas.

Ob es denn wohl eine Möglichkeit gäbe, Frau Grimm zu wecken erkundigt, sich Herr Fritzenkötter von der Brandermittlungskommision, die Sache entbehre nicht einer gewissen Dringlichkeit, immerhin stünde der Vorwurf einer Brandstifung nach Paragraph 306 Strafgesetzbuch im Raum und da gelte es zügig zu einer Aufklärung zu kommen beziehungsweise die genaueren Umstände der Brandentstehung zu ermitteln.

„Ja“, sagt Niklas, „Kann mal gucken ,was geht. Nehmen Sie doch inzwischen Platz. Und stören Sie sich nicht an der Rübe auf dem Stuhl neben Ihnen, die sagt zwar, dass sie böse ist, aber das ist Quatsch.“

Während sich Her Fritzenkötter auf einen Stuhl im Eingangsbereich des Wohnzimmers setzt, schaut er erst verwundert auf die leise grummelnde Rübe neben sich und dann auf das Chaos im Rest des Wohnzimmers. Niklas’ Haus ist zu einer Art Einsatzzentrale für die „Operation Castorp“ geworden, denn die Sache mit dem Zombie, der in Castorps Kopf sitzt und ungute Dinge veranstaltet, ist seit dem ersten von Castorp verursachten Erdbeben erheblich eskaliert. Und hier im Wohnzimmer laufen gewissermaßen alle Kommunikations-Fäden des ad hoc gebildeten Krisenstabs zusammen. 

Auf einem Plüschsessel sitzt Vogelscheuche Matilde, die, umschwirrt von einigen hindert Fliegen Anweisungen in ein Mobiltelefon bellt.

Krähe Günter hockt vor einem Funkgerät am Wohnzimmertisch und lässt sich die jeweiligen Standorte des Mäuewiderstandes durchgeben, auf der Couch sitzt ein bedröppelt aussehender Yeti, der von einer Frau getröstet wird, eine kleine Ziege starrt auf den Fernseher, auf dem durchgehend eine Sondersendung nach der anderen läuft und von Zeit zu Zeit steckt etwas sehr Großes seine riesige Pranke durchs Fenster, um sich von Niklas ein paar Kekse reichen zu lassen.

Ob der wohl fragen dürfe, was die sonderlichen Aufzüge der Anwesenden und ihre ganze Geschäftigkeit zu bedeuten habe, gibt der Brandermittler schließlich zu Protokoll, wobei natürlich niemand irgendein Protokoll schreibt, aber Brandermittler, zumindest die bürokratische Sorte, redet nun mal so und das ist auch der Grund, warum Herr Fritzenkötter lange von den Anwesenden ignoriert wird.

Erst als er mit seinem laut vernehmlichen Räuspern insistiert, er müsse notfalls auf einer Antwort bestehen und es gäbe auch weniger milde polizeiliche Mittel, die angefragten Sachverhalte aufzuklären, erbarmt sich Lilith:

„Also, Meister, es ist so: Günter, das ist der schwarze da vorne, der mit der schlechten Laune und den Federn, Günter koordiniert den Mäusewiderstand. Eine Gruppe ist in Castorps Kopf vorgestoßen und sucht nach dem Suchmaschinenzombie, der versucht, Castorp… ich hab das nicht ganz verstanden, irgendwie zu steuern, weil er ihn liebt… Oder so? Jedenfalls macht das Ding in Castorps Kopf Sachen, die nicht cool sind und die Castorp nie wollte. So. Eine zweite Gruppe des Widerstands versucht gleichzeitig, die Spezialeinheiten IHRER menschlichen Kollegen da draußen, die man im Fernsehen sehen kann, zu sabo… freundlich in zivilere Bahnen zu lenken, damit sie Castorp nicht einfach  mit – keine Ahnung, womit, Raketenwerfern? Granaten? Panzern?  – abschießen.“

Herr Fritzenkötter blickt mit äußerster Irritation auf die Rübe im Stuhl neben sich herab, aber er wahrt zumindest insoweit die Fassung, dass er nicht in Ohnmacht fällt oder seine Kollegen vom Sondereinsatzkommando anruft. Stattdessen hakt er weiter nach. Inwiefern sei, fragt er also, das vogelscheuchenartige und von Fliegen umschwärmte Wesen auf dem Sessel in die Sache involviert und wie sei es zu erklären, dass eine Krähe derart sophistiziert der Sprache mächtig sei.

„Matilde ist nicht VOGELSCHEUCHENARTIG, sie IST eine Vogelscheuche“, sagt Lilith, „Und Günter ist nun mal ausgebildeter Journalist. Die sind zwar sonst nicht zu viel zu gebrauchen, aber mit Sprache umgehen, das können sie. Und was Mathilde am Handy macht´, kann ich Ihnen auch sagen. Weil’s draußen schnatterkalt ist und ihre Fliegenärzte das nicht aushalten würden, gibt sie Anweisungen durch, was die Mäuse in Castorps Kopf zu machen haben, wenn sie irgendwelche Schäden finden oder wenn sie tatsächlich die Suchmaschine treffen.“

Helena mäht laut vernehmlich, als im Fernsehen eine Live-Schalte aus einem Hubschrauber gezeigt wird. Der Fernseher ist stumm gestellt, aber es ist zu sehen, wie sich ein großer, bewaldeter Hügel sich langsam, aber stetig über eine Tiefebene hinweg auf das Meer zubewegt. Er bleibt dabei parallel zu einer nahen Autobahn, die er manchmal in großen Schleifen kreuzt.

„Die Behörden sagen, es ist irgendwas Geologisches“ kräht Günter durchs Wohnzimmer. „Die Nachricht hab ich gerade vom Mäusewiderstand bekommen.“

Klar, wenn ein Hügel sich entschließt, abzuhauen und in Richtung Meer zu wandern, dann ist das natürlich etwas „Geologisches“ schließlich bewegen sich ein paar tausend Tonnen Erde und Steine durch die Gegend. Nur: Eine Erklärung ist das trotzdem nicht. Wenn „die Behörden“ eine Sache SO beschreiben, dann verwenden sie damit den einfachen Trick, eine Tatsache mit komplizierteren Worten wie „geologisch“ einfach noch mal zu sagen. Damit ist nix erklärt und auch noch nix Sinnvolles getan, aber man hat trotzdem irgendwie den Eindruck, die Behörden hätten die Sache irgendwie in Griff. In solchen Situationen ist dann gut, so etwas wie den Mäusewiderstand zu haben. Der gibt zwar weniger Pressekonferenzen, tut aber in der Zwischenzeit einige sinnvolle Dinge.

Die Sache mit dem Mäueswiderstand sollte an dieser Stelle vielleicht auch noch einmal erklärt werden. Nachdem sich Beffanás erste Weihnachtsbegleitung, die Maus aus ihr Wohnung nämlich, in eine rebellische Maus namens Domino verliebt hatte, trat sie unter dem Decknamen 00-Maus dem Mäusewiderstand bei. Einer Untergrundorganisation, die für die Rechte und die Sicherheit von Nagetieren kämpft. Mit der Zeit wurde der Mäusewiderstand ein wichtiger Partner der Weihnachtshexe, bei ihren jährlichen Geschenkaktionen und half ihr immer wieder aus brenzligen Situationen heraus. Zumeist mit Aufklärung und Informationsweitergabe, machmal aber auch operativ durch Sabotageakte und den Einsatz von Sondereinsatzkomandos. Auch nachdem 00-Maus und Domino lange nicht mehr da waren, lebte ihr Erbe weiter. Der Mäusewiderstand ist weiterhin aktiv und unterhält Widerstandszellen in 148 Ländern der Welt.   

Langsam wird Herr Fritzenkötter unruhig. Was er in der letzten Viertelstunde gehört und gesehen hat, lässt ihn an der Vollständigkeit seines Weltbildes zweifeln. Außerdem riecht das alles hier nach einer Menge Gesetzesverstößen, die er nur noch nicht so richtig konkretisieren kann. Gerade, als er aufstehen und den Rädelsführer dieser speziesgemischten Anarchistentruppe zur Rede stellen will, kommt Bewegung ins Wohnzimmer.

„Sie haben sie“, kräht Günter. „Die Suchmaschine sitzt in einem von Castorps Schmerzzentren im Stammhirn. Offenbar bestraft sie Castorp immer mit Stromschlägen, wenn er auf seinem Weg zum Meer abweicht.“

„Aber was soll er denn da?“ fragt Lilith. „Was gibts denn am Meer groß zu sehen?“

„Gibt mal dein Handy!“ Geraldine, die Frau des Yetis, die mit ihrer Dating-App für Monster die ganze Sache gewissermaßen mitverschuldet hat, ist aufgesprungen und zu Matilde gelaufen.

„Hier!“ Sie hält Günter das Smartphone vors Gesicht. Darauf ist Geraldines Dating-App geöffnet. Offenbar hat Matilde auch einen Account. Aber nicht nur sie.

„Guck mal dieses Profil!“ ruft Geraldine. 

„Wer soll das sein, Hans C.?“

„Guck doch mal das Foto an! Ein Hügel, mit Wald und einer Höhle an der Seite!“ sagt Geraldine.

„Castorp?! Castorp hat ein Profil auf… Wie heißt Eure App? „Creature Feature“?

„Die Marktforschung fand das besser als „Willige Biester“ oder „Drachenluder“.

„Ja aber wie will denn ein berggroßes Ding wie Castorp eine Partner*in finden?“

„Naja, mit Rumsitzen und nix tun ändert sich auf jeden Fall auch nix. IUst jetzt doch auch egal. Guck mal hier. ‚Was ich mag: Gute Bücher lesen und lange Spaziergänge am Strand!“ 

„Ach so, verstehe“, sagt Günter. „Der Liebeszombie dirigiert Castorp zum Strand. Ist doch eigentlich ganz süß.“

Jetzt mischt sich Reinhold ein: „Aber das macht man doch nicht mit ins Gehirn einbrechen und Stromschläge verteilen. Da schmückt man einen Lastwagen mit selbst geklauten Blumen, lässt sich mit der Liebsten bis zur Küste kutschieren und futtert einen knusprigen Spediteur am Lagerfeuer in den Dünen beim Sonnenuntergang.“

„Aber was machen wir denn jetzt?“ fragt Günter, während Geraldine Reinhold einen verliebten Blick zuwirft. 

„Der ärztliche Rat lautet, dass wir gar nichts tun“, meldet sich Matilde. „Sind sind jetzt eh fast da, und wir haben die Hoffnung, dass der Liebeszombie Ruhe gibt, wenn Castorp am Strand angekommen ist.“

Er habe, muss nun Herr Fritzenkötter seine Meinung zu der Angelegenheit kundtun, das suboptimale Krisenmanagement dieses wilden Haufens nun lange genug verfolgt und er sei nun zu dem Schluss gekommen, die Kolleg*innen der Schutzpolizei zu benachrichtigen, um dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen. Doch bevor er zur Tat schreiten kann, kommt die Weihnachtshexe Beffaná gähnend die Treppe hinunter. 

„Hab ich was verpasst?“

Ob sie Frau Beffaná Leah Grimm sei, setzt der Brandermittlungskommisar an und wird von Günter unterbrochen:

„Beffaná, wie sieht’s denn mit den Zauberkräften aus? Kannst du den Typen   Irgendwie auf stumm stellen?“

Beffaná schließt die Augen. „Ist erledigt. Gibt’s was neues?“

„Kannst du dem auch die letzte Stunde aus dem Gedächtnis streichen?“

Beffaná schließt wieder die Augen. „Fertig. Was ist mit Castorp?“

„Der Mäusewiderstand meldet gerade, dass der Zombie sich auf Standby gestellt hat, sobald sie am Strand angekommen sind. Sie haben die Kabel zum Nuklearantrieb durchtrennt und fragen jetzt, wie sie weitermachen sollen?“

Im Fernsehen werden Bilder von Castorp gezeigt, der jetzt wie eine bewaldete Wanderdüne am Strand liegt und fast bis ans Meer reicht.

„Er sieht doch ganz friedlich aus“ sagt Beffaná. „Vielleicht gefällt’s ihm am Meer ja besser als hier am Rand der Stadt. 

„Wie schade“, sagt Niklas. „Dann verliert die Gegend hier `ne Menge an Wohnqualität, so ohne ihren Hügel.“

„Ihr könntet das Loch mit Wasser füllen und in einen Baggersee verwandeln“, sagt Günter. „Vielleicht gibt’s ne Seeungeheuer-Familie, die da einziehen will.

„Oh, ich könnte eine App bauen, um Monstern geeignete Grundstücke zu vermitteln“, ruft Geraldine, aber Günter schüttelt den Kopf.

„Nee, lass mal besser sein mit Programmnieren für ne Weile.“

„Mäh, Potzblitz“ sagt Helena, und das ist ihr allererstes Wort in ihrem Leben.

„Und da sag noch mal einer“, meint Lilith und fällt vor Lachen fast vom Stuhl, „dass Fernsehen schlecht für die kindliche Entwicklung ist.