Die dunklen Wolken drücken dröge
Auf die Stimmung. Bitte möge
Doch ein Sonnenstrahl erglimmen
Und erhellen, was an schlimmen
Formationen in den tristen
Agrikulturellen Wüsten
Unter Günter sich entfaltet.
„Ach!“, denkt er, „wie missgestaltet
Sind die Äcker heutzutage
Nur um maximal zu tragen!“
Riesenhafte Landmaschinen
Brüllen laut. Und es bedienen
Sie im Cockpit wie Piloten
Bauern auf der Jagd nach Quoten.

„Krah!“ ruft Günter. „Warum flieg ich
Bloß hier raus? Am Ende krieg ich
Wieder nix für meine Hexe
Kenn ich schon! Und die Gewächse
Die man erntet hier in Haufen
Kann ich auch bei Rewe kaufen!“
Doch die Mail, die er erst neulich
Kriegte, war erfreulich deutlich:
‚Lieber Günter‘, war zu lesen,
‚Schönen Gruß vom schlimmsten Wesen
Das die Hexe Beffaná
Je ihn ihrem Leben sah!’

„Hört mich jemand?“ ruft die Krähe
Hier ist niemand in der Nähe!
Ich bin da, um deine Gaben
Für die Hexe fortzutragen!“

Heute morgen war Günter noch dankbar gewesen, für einige Stunden aus der Stadt herauszukommen. Die Geschichte mit den Zootieren ging ihm immer noch gegen den Strich. Martha hatte schon Recht, die Tiere hatten gerade andere Probleme, als sich um Geschenke für Beffaná zu kümmern. Aber das alleine war’s ja gar nicht. Die Vogelspinne Cosette hatte Beffaná und ihm im Prinzip vorgeworfen, nicht genug – oder das Falsche – für die Tiere im Zoo getan zu haben. Kritische Solidarität…! Pah! Worte wie Eiszapfen…

Ja, es war tatsächlich gut, mal raus aufs Land zu verschwinden. Günter hatte sich von der alten Martha verabschiedet und war losgeflogen. Inzwischen aber ist er genervt. Vor ihm erstrecken sich endlose abgeerntete Äcker neben langen, verlassenen Landstraßen. Laut der Mail, die ihn in der Reaktion erreicht hatte, sollte er genau hierher kommen. Aber hier ist nichts.
„Brrrrrrrrrr.“
Absolut nichts.
„Brrrrrrr. Bummmmm!“
Naja. Fast nichts. Auf dem Seitenstreifen der Landstraße, sieht Günter, trampelt ein Kind auf einem Trettrecker.
„Brrrrrrrrrr. Bummmmmm!“
Dieses Kind sieht nicht so aus wie ds schlimmste Wesen, mit dem er oder Beffaná es jemals zu tun hatten.
Brrrrrrrrrrrrrr. Bummmmmm!“
Es sieht nicht einmal so aus, als könne es schon E-Mail schreiben. Aber: Ein Kind ist besser als gar nichts. Und bevor Günter wieder unverrichteter Dinge zurück in die Stadt fliegt, kann er wenigstens mal fragen.
„Hey!“
„Brrrrrrrrrrrrrr. Bummmmm. Bummmmmmm!“
„Hey!“ ruft Günter. „Bist du taub?“
Nein, das Kind ist nicht taub. Es trägt zwar einen Fahrradhelm auf dem Kopf, aber es hat angehalten und dreht den Kopf nach oben zu Günter. Die Krähe landet auf der Motorhaube des Treckers bzw. da, wo bei richtigen Traktoren die Motorhaube ist. Das hier ist einfach nur grünes Plastik.
„Was macht Du hier?“ fragt Günter.
„Panzer fahren“, entgegnet das Kind. Es ist ein Mädchen, vier oder 5 Jahre alt. „ Panzer fahren und andere Panzer abschießen.“
„Du fährt einen Trecker“, sagt Günter.
„Ich fahre was ich will“, sagt das Kind. „Und heute will ich Panzer fahren.“
„Wie ist dein Name?“ fragt Günter.
„Panzerfahrer Paul“, sagt das Kind.
„Die bist ein Mädchen“, sagt Günter.
„Ich bin was ich will“, sagt das Kind. „Und heute bin ich Panzerfahrer Paul.“
„Findest du nicht, dass Panzerfahren ziemlich blöde ist?“ fragt Günter.
„Ich hab so lange Trecker gespielt, da ist Panzerfahren `ne coole Abwechslung“, sagt Panzerfahrermädchen Paul.
„Wohnst du hier irgendwo?“ fragt Günter. „Ich suche jemanden.“
„Ich wohne da hinten“, sagt Panzerfahrermädchen Paul. Sie zeigt die Straße hinunter, irgendwo in Richtung Horizont.
„Du bist ganz schön weit weg von zuhause“, sagt Günter.
„Du bist ganz schön geschwätzig für eine Krähe“, sagt Panzerfahrermädchen Paul.
„Das ist mein Job, ich bin Reporter bei der Krähenpost“, sagt Günter. „Ich rede mit Leuten und schreibe ihre Geschichten auf.“
„Verstehe“, sagt Panzerfahrermädchen Paul. „Wenn Du wirklich von der Krähenpost bist, dann willst du bestimmt mit Lilith reden.“
„Kann sein“, sagt Günter. „Ist Lilith… ein… Monster? Wesen? Ungeheuer? Gespenst?“
„Lilith ist in meiner Sandkiste“, sagt Panzerfahrermädchen Paul. „Steig auf, ich fahr dich hin.“

Die Fahrt zieht sich ziemlich in die Länge. Immer wieder unterbricht Paul ihr „Brrrrrrrrrrrr“, um andere Panzer abzuschießen. Günter versucht während der Fahrt mit Paul über die Furchtbarkeit von Panzer und Schießen zu reden, aber Paul unterbricht ihn.
„Ich spiele ja nur.. Niemand wird verletzt.“
„Kannst du nicht…“ Nein, denkt Günter, Treckerfahren ist ihr ja zu langweilig… „Kannst du nicht Autorennen spielen?“
„Mit DEM DING hier?“ Paul schnaubt verächtlich und zeigt auf den grünen Spielzeugtrecker. „Wen willst du eigentlich verarschen, Krähe?“
Okay, Themenwechsel.
„Wie heißt du denn, wenn du nicht Panzer oder Trecker fährst?“
„Paula. Außer nachts, da heiße ich Galaktika.“
„Und wer genau ist Lilith? Und was macht sie in deiner Sandkiste?“
„Wohnen“, sagt Paula. „Festhalten! Die Schweine schießen schon wieder!
Bummmmm! Bummmmm!“
Paula wackelt den Trettraktor wild nach rechts und links und macht Geräusche als würden Kanonen neben ihnen einschlagen.
„Lilith ist meine Rübe“, sagt Paula.
„Eine Rübe…. Eine Rübe zum essen?“
„Igitt, Rüben!“ ruft Paula. Aber dann überlegt sie. „Ja, wahrscheinlich kann man sie essen. Tiere essen Rüben.“
„Wieso hast du eine Rübe in der Sandkiste?“
„Festhalten!“ Paula macht wilde Bremsgeräusche und hält den Spielzeugtrecker neben einer Sandkiste, die auf einer Wiese neben einem Bauernhof steht.
In dem Sandkasten liegt tatsächlich in der Mitte halb eingegraben eine leicht verschrumpelte Rübe.
„Panzer bremsen viel leiser“ sagt Günter, aber Paula schüttelt ihren Kopf. „Ich wette, du hast keine Ahnung wie Panzer bremsen“, sagt sie. „Du redest genau so einen Müll wie die Erwachsenen.
„Wieso hast du eine Rübe in der Sandkiste?“ Wiederholt sich Günter.
„Weil Lilith es befohlen hat“, sagt Paula. „Und wir müssen alle tun, was Lilith sagt.“
„Und was, wenn nicht?“ fragt Günter. Er flattert zu der schrumpeligen Rübe hin und hackt kurz mit seinem Schnabel hinein. Hmmm. Zuckerrübe. Nix besonderes.
„Hör auf damit!“ ruft Paula. „Lilith sagt, dass du das nicht machen darfst!“

„Und was, wenn ichs doch tue?“ Günter ist ziemlich sauer. Warum lässt er sich von einem Kind zum Narren halten lassen. „Was passiert, wenn ichs doch tue?“
„Dann rupfe ich dich und esse deine Haut zum Mittag“, sagt die Rübe.
„Hä?“ Günter starrt und schluckt.
„Ich geh rein“, sagt Paula. „Ruf mich wenn die Krähe nervt.“
Dann verschwindet sie in Richtung Bauernhof.
Günter steht am Rand der Sandkiste und ist mehr oder weniger überfordert.
„Hast du mir die Nachricht geschickt?“ fragt er schließlich in Richtung der schrumpeligen Rübe.
„Kann sein“, sagt die Rübe.
„Aber du bist überhaupt nicht das schlimmste Wesen, das ich je getroffen habe.“
„Kann sein“, sagt die Rübe. „Aber ich bin ziemlich gut im Scrabble. Und ich sags dir: Wenn ich Arme oder Beine hätte, ich würde furchtbare Dinge tun. Ist alles schon fertig ausgedacht hier in meiner Rübe.“
„Wie hast du’s geschafft, mir eine E-Mail zu schreiben?“ fragt Günter.
„Ey, ich bin zwar alt, aber so alt nun auch wieder nicht!“ schnaubt die Rübe. „E-Mails kann heutzutage jeder schreiben!“
Günter gibt’s auf. „Was willst du?“ fragt er. „Wo ist das Geschenk? Gibt’s überhaupt eins? Oder ist das alles eine riesige Zeitverschwendung?“
„ICH bin das Geschenk!“ ruft Lilith, die Rübe. „Ich! Nimm mich bitte mit zu Beffaná!“
„Was soll eine Weihnachtshexe mit einer Zuckerrübe?“
„Ich hab nicht so viel Erfahrung mit Weihnachtshexen, aber Zuckerrübensirup wär `ne Idee. Der schmeckt lecker auf Brot, auf Kartoffelpuffer und mans auch zum Backen verwenden.“
„Bist du blöd? Du willst dich opfern, damit Beffaná dich zu Zuckerrübensirup verkocht?“
„Ja“, sagt die Rübe. Sie scheint sich jetzt erst klarzumachen, was ihr Vorschlag eigentlich für sie selbst bedeutet. „Alles besser als das hier?“
„Verstehe ich nich…“
„Es ist langweilig hier, Günter! Schau dir das Kind an! Es lebt auf dem Land mitten in der Pampa und seinen Eltern fällt nix anderes ein, als ihm einen Spielzeugtrecker zu schenken! Es ist öde hier, Günter! Früher gab’s noch ein paar Schweine und Kaninchen! Aber jetzt gibt nur noch Rübenfelder und Trecker, die über Rübenfelder fahren. Kilometerlang. Am am nächsten Tag das gleiche. Rübenfelder und Trecker. Und am übernächsten Tag wieder das gleiche: Rübenfelder und Trecker. Und die Rüben sehen auch noch alle gleich aus, wegen Zucht und Düngen und Spritzen und so. Alles exakt gleich! Wirklich. Ey, ich BIN eine Rübe und ICH kann dir nicht sagen, wie ich die anderen auseinanderhalten soll. Sehen alle gleich aus! Kann man doch verstehen, dass Kinder und Rüben bekloppt werden in dieser Umgebung! Ich hatte so viele Pläne, was man alles Böses anstellen könnte mit dieser Welt, aber hier ist es so langweilig, ich will einfach nur noch geschreddert und gekocht werden und dann auf Brot. Mit Quark, das habe ich eben vergessen. Das schmeckt auch gut.“
„Hm. Kommst du gut mit Ziegen klar? Verträgst du Treppenliftfahren? Kannst du alte Leute aufmuntern? Was ist dein Rekord beim Scrabble?“
„Alles kein Problem“, sagt die Rübe. „Und beim Scrabble: STEWARDESSZELT. Dreifacher Wortwert.“
„Na gut“, sagt Günter. „Aber Stewardesszelt ist kein Wort!“
„Doch! Ich kann eine verdammt ruchlose Rübe sein! Und jetzt buddel mich aus. Paula wollte mich gerade in ihre Sandburg einbauen. Als Tretmine für den Weihnachtsmann.“
„Es gibt keinen Weihnachtsmann und außerdem dauerts noch ein bisschen bis Weihnachten!“
„Das musst du MIR nicht sagen! Aber was kann man schon tun?“
„Warum sollte eine Stewardess in einem Zelt wohnen?“
„Vielleicht ist sie Scrabble-Fan…?“
„Potzblitz! Halt die Klappe!“